Glasfiguren
Glasfiguren

Kristallklar

13. Juli 2020
Kristallfiguren
Austria

Ich hatte das unglaubliche Glück, meine große Liebe schon mit 15 Jahren kennenglernt zu haben. Sie war meine erste Freundin und alle Erfahrungen, die wir machten, erlebten wir gemeinsam. Schon nach kurzer Zeit wusste ich tief in mir, dass es die Frau meines Lebens war.

Ihre große Leidenschaft war schon damals das Sammeln von Glasfiguren, die sie sich zu besonderen Anlässen von ihren Eltern schenken ließ. Nachdem wir ein Jahr zusammen waren, kratze ich mein Geld zusammen und kaufte ihr eine Glasfigur um ihr zu zeigen, wie sehr ich sie liebte. Im Laufe der Jahre heirateten wir, bekamen zwei Kinder und bauten ein Haus. Jedes Jahr zu unserem Jahrestag wiederholte meine Frau den Wunsch nach einer dazu passenden Figur aus Glas. Sie meinte, dass sie nur zu zweit vollständig wären, genau wie wir beide. Jedes Jahr vertröstete ich sie auf das darauffolgende.

Mitte vierzig verspürte ich das Gefühl, mit nur einer einzigen Lebenspartnerin etwas verpasst zu haben. Ich fing an, um die Häuser zu ziehen und mit anderen Frauen zu schlafen. Mir war es egal, dass ich meine Frau verletzte und meine Familie beschämte. Irgendwann hielt es meine Frau nicht mehr aus. Ich kam nach Hause und fand ein leeres Haus vor. In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich nicht nur die letzten 25 Jahre weggeschmissen, sondern auch das Wertvollste, meine Familie, verloren hatte. Ich verstand nun, dass keine Frau der Welt mir auch nur annähernd das Gefühl geben konnte, dass mein Mädchen mir gab. Ich hasste mich dafür, alles als selbstverständlich angesehen und mich so wichtig genommen zu haben. Ich beschloss, alles in meiner Macht Mögliche zu tun, um sie zurückzugewinnen. Ich flehte und bettelte, versuchte ihr meine Liebe und Treue zu beweisen, machte mich zum Hampelmann. Genau ein Jahr nachdem sie mich verlassen hatte, kaufte ich eine zweite Figur aus Glas. Jene, die sie sich schon so lange gewünscht und die ich ihr niemals gekauft hatte. Ich ging mit dieser Glasfigur noch einmal zu ihr, um mich für all meine Fehler zu entschuldigen und sie ein allerletztes Mal um Verzeihung zu bitten.

Gemeinsam haben wir diese beiden Glasfiguren dem Museum of Lovestories überlassen. Nicht, weil sie nicht vereint sind. Sondern gerade weil sie es sind. Und Selbstverständlichkeit gibt es nicht mehr. Nie mehr.

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